Im Sommer 1993 – vor 21 Jahren – nahm meine Oma mein sechsjähriges ich an die Hand und fuhr mit mir an den Pekinger Flughafen. 14 Stunden Flug trennten mich von Deutschland. Dort warteten meine Eltern auf mich, nachdem sie sich eine kleine Existenz aufgebaut hatten. Ich hatte keine Vorstellung, was für eine Veränderung das ganze für mich bedeuten würde. Ich weiß nicht mal mehr, ob ich wusste, dass ich nicht mehr nach Peking zurück kehren würde. Aber wie erklärt man das auch einem Kind? Aus der lauten, bunten Großstadt direkt nach Nieder-Beerbach, einem kleinen Dörfchen mitten im Nirgendwo… ungewohntes Essen, anders aussehende Menschen und eine Sprache, die ich nicht verstand (wie anpassungsfähig Menschen doch eigentlich sind, aber wie extrem sich manche Leute gegen Veränderungen wehren…).
1993 begann also mein Leben in Deutschland. Meine Eltern holten meine Oma und mich in einem Ford ab – stolz wie Oscar – Führerschein, eigenes Auto und eine kleine zwei-Zimmer Wohnung. Ich weiß nicht mehr wie, aber wir haben es geschafft, mehrere Monate zu viert in einer kleinen zwei-Zimmer Wohnung zu leben. Ich komme noch immer nicht darauf klar, dass diese Wohnung jetzt ein Fußpflegestudio ist. Das mag vielleicht keiner nachvollziehen können, aber der Gedanke, dass diese kleine Wohnung, in der wir über 3 Jahre gelebt haben mittlerweile nur gut genug für ein Fußpflegestudio ist, das wirkt so „als würden sie mit Füßen auf meiner Vergangenheit herum trampeln, als wäre diese Wohnung nicht gut genug, um Menschen drin wohnen zu lassen“.
1993 – aus diesem Jahrgang ist auch meine Sac Noé. Ihr wisst, wie ich zu den gängigen Monogramm Modellen von Louis Vuitton stehe: in der Regel mag ich sie nicht. Vor allem die Speedy. Ich habe es nie verstanden, wie man 600€ für eine Tasche ausgeben konnte, die an so vielen Ellenbogen baumeln und die im Einkauf 200€ kostet (gut, im Verkauf wird fast jeder Artikel mit 300% Aufpreis angeboten). Und ich mag sie vermutlich auch nicht, weil ich damit verschiedene Personen verbinde, die ich persönlich nicht mag. Dafür kann die Tasche ja nichts. Meine Noé ist vintage und somit natürlich wesentlich günstiger als eine Sac Noé im neuen Zustand. Um ehrlich zu sein, finde ich – neben der Preisfrage – die Vintage Stücke mit der dunkleren Verfärbung einfach schöner. Irgendwie haben sie mehr Leben als die neuen Modelle. So habe ich Anfang des Jahres angefangen, im Internet nach der Tasche Ausschau zu halten. Aber oft waren die Modelle noch immer recht teuer und sahen einfach schon grausig aus. Selbst als ich
Glück und Glanz entdeckte, habe ich weitere 5 Monate gewartet, bis ich meine perfekte Noé gefunden habe. Dieses mal lag es aber nicht an der Qualität, denn die Taschen bei Glück und Glanz sind allesamt sehr gut erhalten – so weit ich das beurteilen kann. Ich stand also sehr lange in Kontakt mit Phillis von
Glück und Glanz, bevor ich mich letztendlich für den Kauf der Tasche entschieden hatte (i
n ihrem Shop findet ihr übrigens nicht nur Vintage-Stücke von Louis Vuitton, sondern auch von Marken wie Moschino oder MCM). Sie hat stets geduldig meine Fragen beantwortet und mir Tipps gegeben und mich nie bedrängt, oder mir etwas andrehen wollen (
Achtung! Augen auf beim Kauf – Vintage ist nicht gleich Vintage! Manche Modelle sind in einem so schlechten Zustand, dass es keinen Spaß macht, sie zu tragen…). Eine Frage stellte ich ihr dabei immer wieder: “Wie alt ist denn die Tasche?“ Der Hintergrund mag ein wenig nerdig klingen: aber wenn ich schon eine Vintage-Tasche kaufe, dann möchte ich mich auch irgendwie mit ihr identifizieren können und neben der Tatsache, dass sie gut gepflegt sein sollte, spielte tatsächlich das Alter der Tasche eine wichtige Rolle bei meiner Kaufentscheidung. Kann man das irgendwie nachvollziehen? Oder ist das wirklich zu nerdig? Als sie mir dann wieder mal eine Noé präsentierte und sagte, dass sie eine sehr gut erhaltene Tasche aus dem Jahre 1993 bei sich hatte, musste ich wirklich keine Sekunde mehr über den Kauf nachdenken. Nicht mal eine Tasche aus meinem Geburtsjahr hätte perfekter für mich sein können.
Dass meine Noé ausgerechnet aus dem Jahr stammt, an dem mein Leben umgekrempelt wurde, das fasziniert mich einfach ungemein. Vielleicht saß ich gerade im Flugzeug nach Deutschland und wusste nicht, wie mir geschah, als in Frankreich eine elegante Dame in den LV Store spazierte und sich diese Tasche zulegte. Vielleicht war es auch eine junge Frau und sie hat viel sparen müssen, um sich einen kleinen Traum zu erfüllen… Wer kann schon genau sagen, welche Geschichten die Tasche schon erlebt hat?
Für mich steckt in dieser Noé die Träume eines kleinen Mädchens, das mit 6 Jahren nach Deutschland kam, um die Welt zu erobern. Um zu lernen, was es bedeutet, ein einfaches und sparsames Leben zu leben, die kleinen Dinge im Leben zu schätzen und trotzdem nie den Traum einer großen Zukunft aufzugeben. Sie hat gelernt, dass man auf gute Dinge warten muss, dass man sie sich erarbeiten muss – Schritt für Schritt, denn egal wie weit der Weg ist, man muss den ersten Schritt tun.
Love,
Summer
Bilder: Talkasia // Digital Passion